PAPP-PLATTEN-MEISTER

Ansgar Oswald

Zitty 09/2003

Er erfand den Plattenbau zum Selberbasteln.
Über sechstausend Stück hat Cord Woywodt inzwischen verkauft.
Text: Ansgar Oswald

„Martina braucht Geld“, hat jemand in weißer Farbe über die Klingel geschmiert, die nicht funktioniert. Nach Klopfzeichen am Fenster steht kurze Zeit später Cord Woywodt in der Haustur. Er zeigt auf den Spruch und sagt: ,,Geldmangel scheint eine Seuche zu sein.“ Ein herzliches Lachen liegt auf dem Gesicht des schmalen Enddreißigers.

Er ist in ein dunkelblaues Sweatshirt und eine braune Cordhose gekleidet; an den Füßen hat er Stiefel, im linken Ohr einen Ring und einen Fishbone-Clip. So steht er da und bittet herein. Wenn man nicht wüsste, dass er Architekt ist, konnte man auf alles mögliche tippen. Musiker oder Künstler. Aber nie Architekt. So sieht kein Architekt aus; nicht nach dem Klischee, mit dem sich die Zunft und ihre schwarze Kleiderordnung selbst etikettiert.

Cord Woywodt schert aus. Nicht nur äußerlich, sondern auch in dem, was er tut. Bis zum vorigen Jahr hatte er an öffentlichen Gebäuden gearbeitet, bis ihm der leeren Staatskassen wegen die Aufträge ausblieben. Dann hätte er gerne aus dem derzeit abgerissenen Plattenhochhaus in der Marzahner Marchwitzastraße den Prototyp eines neuen Einfamilienhaustyps gebaut. Studien der Technischen Universität Cottbus hatten den Architekten darin bestärkt. Doch dem Bauherrn war das Plattenrecycling, wie es Woywodt nennt, schließlich zu kühn. Er ließ davon ab. Vorerst.

Der neue, graue Realismus
Also setzte sich Cord Woywodt hin und malte zum Zeitvertreib Plattenbauten in Aquarell. Hochhäuser, nüchtern wie der mausgraue Marzahner 21-Geschosser und die unsanierten Scheibenhäuser in der Kienbergstraße, ebenfalls in Marzahn. Anschließend scannte er die Vorlagen ein und bearbeitete sie am Computer zu Faltbastelbögen im Maßstab 1:400. Angaben zur den Größenordnungen entnahm er den zahlreichen Planungsunterlagen aus dem eigenen Archiv, die er nach der Wende vor dem Reißwolf gerettet hatte wie vieles, was heute seine einzigartige Sammlung DDR-Beständen ausmacht. Darunter auch viel Literarisches und Fotografisches, das die Geschichte einer aus dem Gedächtnis wegretuschierten Gesellschaft dokumentiert. Ebenso wie die Plattenbauten, die heute hinter kunterbunt fröhlichen Verkleidungen verschwunden sind oder abgerissen werden.

Die mit historischen Planungsbildern und einer kleinen Architekturgeschichte auf echtem Ost-Recyclingpapier als Beigabe versehenen Bastelbogen erwiesen sich als existenzrettende Geldquelle. Über sechstausend Bastelbögen hat der Architekt seit dem Ausgabetag am 3. Oktober vorigen Jahres bundesweit verkauft. Nicht mitgerechnet die Bestellungen über den Internetauftritt faltplatte.de. Von Konstanz bis Prora faltet und klebt die Republik nun Plattenbausiedlungen für die Glasvitrine. „Vor allem Westdeutsche stehen auf die Bastelsätze“, hat er beobachtet. Und oft habe er zu hören bekommen: „So“ne Idee kann nur ein Wessi haben.“

Papp-Palast der Republik
Inzwischen erledigt ein Vertrieb die Lieferung der Bastelbögen. Letzter Schrei ist der „Palast der Republik“ – als Faltsatz. Nie habe er im Traum daran gedacht, damit Geld verdienen zu können. Cord Woywodt sinniert: ,,Ich glaube tatsächlich, dass ich mit meinem Bastelbogen Furore gemacht habe.“ Dass er damit das eher als sentimental belächelte Milieu der Kartonmodellbauer bedient, ist ihm egal. Zwischen all den Reichstagen, Brandenburger Toren und sonstigen Bausätzen aus dem Repertoire der guten alten Zeit, die von der Nostalgieindustrie angeboten werden, wirken die Bastelsätze der simplen Alltagsbauten wie blanke Ironie.

Der 1964 in Celle geborene Cord Woywodt, der nach Tischlerlehre und Zivildienst auf Norderney nach Berlin kam, um an der Technischen Fachhochschule Wedding Architektur zu studieren. „Ich wäre damals lieber auf Kunst gegangen.“ Und, dass er sich „eher als Künstler“ sieht denn als Architekt. Zwei große Tische, Metallschränke voll mit Archivmaterial, Metallregale randvoll mit Büchern, garniert mit skurrilen Sammlerstücken wie einer Metallbüste von Che Guevara. Darüber eine Schallplatte mit Volksweisen wie „Der fröhliche Ostpreuße.“ Das Büro, das sich Woywodt mit seinen Kollegen Hermann Türk und Robert Conrad teilt, hat eher die Aura einer Künstlerwerkstatt denn eines Architekturbüros. Es ist ein Ort für Kreative, die Lust am Eigenwilligen haben. Neben Sanierungsprojekten hatte sich Woywodt mit seinen Kollegen ohnehin eher theoretisch mit Architektur befasst, mit ihrer gesellschaftlichen Rolle etwa in der Ausstellung „Macht und Monument“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main. Hinzu kamen Bücher, so über das ehemalige Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen. Und immer hat ihn dabei auch sein „Faible für Bastelbogen“ nicht losgelassen, wie er gesteht. Komplette Kartonbastelbücher von Hitlers Bunkerstadt oder von der Marienburg hatte er von seinen Polenreisen mitgebracht. Im Regal stehen Altbauten aus einem Werbebastelsatz von Kaiser“s Kaffee, daneben ein Bausatz des World Trade Centers:“Habe ich aus dem Internet runtergeladen. Es gibt, glaube ich, auch einen mit einem reingestürzten Flugzeug“ Dass er -statt selbst neue Häuser zu bauen – nun Lieferant einer Erinnerungsindustrie geworden ist, stört ihn wenig. Mit der Frage, ob es nun Kitsch und Kunst ist, was er macht kommt man ihm nicht bei. Er stellt fest: „Meine Plattenbaubögen sind Kunst. Schließlich habe ich sie von Hand gemalt“.