Denkmal aus Papier für den normierten DDR-Wohnungsbau
Cellesche Zeitung 1.2.03
Celler Architekt „macht Platte“ in Berlin Honeckers Renommier-Blocks als Bausatz
Von Michael Ende
CELLE. Als es den aus Celle stammenden Architekten Cord Woywodt nach Berlin zog, hatte er sich nicht träumen lassen, dass er eines Tages „Platte machen“ würde. Jetzt ist er soweit. Das heißt allerdings nicht, dass er an der Spree als Obdachloser auf den Hund gekommen wäre. Woywodt ist auf die 08/15-Plattenarchitektur von Honecker und Co. gekommen: Er vertreibt sie als Papp-Bastelmodelle im Maßstab 1:400.
Auf die Idee verfielen Woywodt und sein Kompagnon der Landschaftsplaner Andreas Seidel, als in der Bundeshauptstadt die Auftragslage für Bauvorhaben im Maßstab 1:1 schlechter wurde. Der Architekt schaut aus seiner Bleibe jeden Morgen auf einen Plattenbau, dessen Tristesse ihn inspirierte. Wenn er diesen Bau schon nicht sanieren durfte, so dachte er sich, dann wollte er dem grauen Klotz und seinen Artgenossen wenigstens ein Denkmal setzen, um, so Woywodt, „auch ein Stück deutscher Kultur am Leben zu erhalten.“ Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn die „Original-Platte“ wird jetzt entweder ganz platt gemacht oder durch Umbauten so modernisiert, dass ihr geometrisches Antlitz für nostalgische Puristen entstellt wirkt.
Diese Manifestation des sozialistischen Bauwillens, die heute als Menetekel des Mittelmaßes, in dem die hehren Träume der DDR versanken, wirken, galten zu den Zeiten Ihrer Entstehung als Errungenschaft der Arbeiterklasse. Frank Schobel, DDR-Schlager-Barde und selbst Plattenbaubewohner, sang mit Neubau-Kindern „Komm, wir malen eine Sonne auf den grauen Pflasterstein“. Der Kult, um die „Platte“, der sich schon im „real existierenden Sozialismus“ abzeichnete, erfährt heute ein ungeahntes Crescendo: „Ostalgie“ ist in; folglich auch die grauen Riesen, die in Beton gegossenen Stützpfeiler der sozialistischen Ideologie. Viele – besonders jene, die nicht in diesen „Arbeiterschließfächern“ wohnen „durften“ – finden sie heute „einfach putzig“.
„Wir haben beobachtet, dass Touristen gerne die Faltplatte als Mitbringsel mitnehmen“ berichtet Woywodt, der seine Bausätze in Berliner Buchhandlungen und über das Internet unter www.faltplatte.de vertreibt. Ungefähr eineinhalb Stunden braucht der durchschnittlich begabte Bastler mit Schere und Klebstoff, um sich eine Wohnanlage aus sechs einzelnen Gebäuden ins Regal zu zaubern. Wer diesen „Plan“ erfüllt hat, blickt stolz auf den in der DDR am häufigsten gebauten Plattentyp WBS 70 mit elf Etagen und ein Doppelhochhaus mit 18 und 21 Geschossen. Woywodt verspricht Authentizität bis ins Detail: „,Als Vorbild dienten Blöcke in Berlin-Marzahn.“ Der pfiffige Tüftler hat längst erkannt, dass die Pappauferstehung der DDR eine profitträchtige Marktlücke ist und.legt nach: Sein neustes Projekt ist „Erichs Lampenladen“ – der „Palast der Republik“ zum Knicken.