Fernsehturm fürs Fensterbrett

Berliner Zeitung 20.11.2009
Mutmacher – jetzt und hier

Mit der ,,Faltplatte“ wurden DDR-Gebäude zu Souvenirs und aus einem Architekten ein Designer
VON BARBARA WEITZEL

Die Not gebiert oft die besten Ideen. Und manchmal ist der, dessen Kopf sie entsprungen sind, selbst überrascht von ihrer Wirkung. Cord Woywodt, 45 Jahre alt, Architekt aus Celle, hatte jedenfalls keine Vorstellung davon, wie der Plattenbau und in paar Bögen Karton sein Berufsleben verändern würden.

Wir schreiben das Jahr 2002. ein düsteres fahr für Architekten: der Booms der Neunzigerjahre ist vorbei, die Branche ist gelähmt, Aufträge bleiben aus. Stattdessen wird damit begonnen, Plattenbauten abzureißen, andere werden renoviert, die Zukunft der Gebäude ist ein Thema in Architektenkreisen und in den Medien. Woywodt, der seit 1987 in Berlin lebt und arbeitet, fragt sich, wie man die Erinnerung erhalten könnte an dieses Stück deutsche Architekturgeschichte, Spielerisch und anspruchsvoll zugleich, für Architekturinteressierte, Berlin-Freunde und Tüftler. Heraus kam: die Faltplatte. Aus einem Bastelbogen kann nun jeder die Plattenbaumodelle WBS 70/11 und WHH GT 18/21 im Maßstab 1:400 nachbauen  sofern er über 3,90 bis 7,90 Euren Schere, Kleber, eine Teppichschneider und ein bisschen Geduld verfügt. Zwei bis drei Stunden, und ein Stück DDR-Geschichte, steht wieder auf dem Fenstersims, in der Vitrine, im Kinderzimmer.

„Ich hätte nie gedacht, dass die Faltplatte so begehrt sein würde“, sagt Woywodt heute, In den ersten Monaten habe er wöchentlich drei Interviews gegeben und Hunderte von Bestellungen bekommen „Es war offenbar das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt“. Ein bisschen Ostalgie hier, die Debatten um den Umgang mit den ungeliebten Plattenbauten da und vom Ruf Berlins als Kunst und Designstadt war bereits das erste Flüstern zu hören.

Mittlerweile ist es ruhiger geworden, dennoch hat Woywodt so viel mit seinem „Nebenberuf“ als Designer zu tun, dass das Spiel mit Papier und Pappe das Planen echter Häuser auf den zweiten Platz verwiesen hat. Mehr als 40000 Faltplatten gingen seit 2002 über die Ladentische von Buch und Souvenirläden  oder sie wurden über Cord Woywodts Homepage im Internet bestellt,

Ein Grund mehr, das Angebot zu erweitern: Neben den Bastelbogen vertreibt Woywodt seit zwei Jahren von seinem kleinen Büro in der Lottumstraße aus auch die Betontapete, Die Tapeten mit acht verschiedenen Optiken von „Sichtbeton Plattenbau“ über,,Waschbeton“ bis hin zu „Berliner Mauer“ verkaufen sich gut, bisher in München, Hannover und natürlich Berlin. „Ich bin noch in der Entwicklungsarbeit, komme aber nicht recht dazu.“ Der Grund: Die Nachfrage nach neuen Bastelbögen. Den Plattenbauten folgten in den Jahren der Palast der Republik, das Café Moskau, der Block C Süd in der Karl-Marx-Allee und das Haus des Lehrers am Alex. Dauerbrenner im Verkauf ist der Berliner Fernsehturms. Den Schritt in den Westteil der Stadt machte Woywodt mit der Miniatur Schaubühne. Einen Blick über Berlin hinaus richtete er, als das Bauhaus in Dessau zur Faltplatte werde. Weiches Gebäude das nächste sein wird, behält Woywodt für sich, „Es wird noch dieses Jahr zu kaufen sein“, sagt er nur.

Die Druckvorlagen fertigt Woywodt zwar am Computer an, viele Details und Farben zeichnet und aquarelliert er aber vorher und scannt sie dann ein. Er ist sich sicher, dass der Erfolg der Faltplatte etwas mit dieser Handarbeit zu tun hat. ,.Selbstgemachtes erfüllt eine Sehnsucht, Ein Produkt strahlt Sympathie und Wärme aus, wenn der Hersteller sich Mühe gegeben hat“, taugt es“. Außerdem genieße er das Arbeiten mit den Händen, ohne Rechner. So geht es wohl auch den vielen Menschen, die seit sieben Jahren kleine Sehenswürdigkeiten bauen und Modelle von Wohnblocks in sozialistischer Bauweise aus Berlin mit nach Hause bringen.

Darauf ist der sonst bescheiden auftretende Woywodt ein bisschen stolz: „ich freu mich, dass ich meinen Beitrag zur Renaissance des Bastelbogens geleistet habe“, gibt er zu. Eine alte Idee, die lange mit Kindheit und Freaktum assoziiert wurde, hat wieder Einzug in die Szene und den Alltag gehalten. Eine sehr alte Idee übrigens: Der erste Bastelbogen stammt aus dem Jahr 1544 und war ein Bausatz für ein Kruzifix, gedruckt auf Büttenkarton.