KULTOBJEKT
Berliner Zeitung, 5.12.2002
Berliner Zeitung, 5.12.2002
KULTOBJEKT
Trotz Abriss: Die Platte lebt – als Minihaus zum Selberbauen
von Marcel Gäding
Prenzlauer Berg. Etwa acht bis neun Monate wird der Abriss des Marzahner Doppelhochhauses dauern. Cord Woywodt und Andreas Seidel brauchen eine Stunde, um es wieder aufzubauen. Oder besser: zu basteln. Denn ihre Platte besteht aus Pappe und passt auf jeden Wohnzimmertisch. Erinnerung an jene Zeit, als es im Osten der Republik nichts Schöneres gab, als in einer Neubauwohnung zu leben.
Der Architekt und der Landschaftsplaner aus Prenzlauer Berg sind die Erfinder der Faltplatte. Die gibt es im Maßstab 1:400 und in zwei Typen – als WBS 70 mit elf Geschossen oder als Wohnhochhaus mit 18 und 21 Geschossen. Wie.das in der Marchwitzastraße Als Vorbild dienten Häuser aus der Marzahner Kienbergstraße. Unsaniert. Die Fassaden schmucklos und grau. Details zu Etagenhöhen oder Giebelgrößen entnahmen sie ihrem eigenen Archiv. Dort liegen etliche Plane von Plattenbauten, die Cord Woywodt nach der Wende vor dem Reißwolf rettete.
Auf die Idee mit der Faltplatte kamen Woywodt und Seidel, als die Aufträge fur Bauprojekte spärlicher wurden. Warum, sagten sie sich, soll man sich nicht anderweitig mit Architektur beschaftigen? Es gab bereits ein Plattenbau-Kartenspiel. Doch einen Bastelbogen für Plattenbauten hatte noch keiner erfunden. Die Faltplatte, sagen die beiden, ist ihre Art der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Platte. Selbst haben sie nie in der Platte gewohnt. »Ich kann mir aber gut vorstellen, in einem Plattenbau zu leben«, sagt Woywodt. Für ihn, den Architekten, sind Plattenbauten nationales Kulturerbe, ein Stück Baugeschichte. »Solche Häuser kann man doch nicht einfach so abreißen.« Mit ihrer Faltplatte wollen Woywodt und Seidel eine Botschaft verbreiten. Nicht die Platte ist das eigentliche Problem. »Es sind die fehlenden Freiräume zwischen den Häusern«, sagt Andreas Seidel. Die Platte an sich sei nicht mehr wegzudenken. Und: Weil es in der Innenstadt immer enger wird, könnten Plattenbausiedlungen bald gefragte Gegenden sein.
Die erste Auflage,der Faltplatte ist so gut wie vergriffen, die zweite bereits gedruckt. Architekten und Designer bestellen sie. Museumsshops, Fachbuchhandlungen und Szeneläden haben sie in ihr Sortiment genommen. Doch neben dem Fachpublikum interessieren sich vor allem Berlin-Besucher für den Bastelbogen. »Wir haben beobachtet, dass Touristen gern die Faltplatte als Mitbringsel mitnehmen«, sagt Cord Woywodt. Mittlerweile kreieren die beiden ein neues Projekt. In zehn Tagen soll Palast der Republik erscheinen. Zum Basteln und aus Pappe.