Wir basteln uns einen Plattenbau
Neue Welt Nr. 26 18.6.2003
Ein Berliner Architekt hatte eine pfiffige Idee und traf damit den Nerv der Zeit
Was der VIII. Parteitag der SED beschloss – jetzt wird es doch noch Wirklichkeit: Die zügige Erfüllung des Wohnungsbauprogramms der DDR. Der Berliner Architekt Cord Woywodt (38) hat über drei Jahrzehnte nach den denkwürdigen Beschlüssen eine Methode ersonnen, mit der der oft geschmähte Plattenbau im Handumdrehen fertig ist. Der Haken: Die Neubaublocks von Cord Woywodt sind nur wenige Zentimeter groß, werden von Hand geklebt und bestehen aus Papier statt aus Beton. Es sind Bastelbögen, die der Pfiffikus unter dem Markennamen „faltplatte” schon 6000mal verkauft hat.
Woywodts frech-fröhliche Hommage an den ostdeutschen Neubaublock kommt gerade rechtzeitig, denn das Original ist akut bedroht. „Bevor der letzte Block modernisiert. bunt angestrichen oder abgerissen wird, wollte ich der „Platte“ in ihrer ursprünglichen Form ein Denkmal setzen”, sagt Woywodt. Immerhin wohnte rund ein Viertel der DDR-Bevölkerung im Laufe seines Mieterlebens in den genormten Beton-Bauten; in Ost-Berlin waren es sogar 50 Prozent. Berlin-Hellersdorf, Halle-Neustadt oder Leipzig-Grünau insgesamt wurden in der DDR bis 1990 rund 2,35 Millionen Wohnungen in industrieller Bauweise errichtet. Und viele waren froh darüber. In Hoyerswerda klagte sich kürzlich sogar eine Spielothek-Besitzerin in „ihren” abrißgefährdeten Neubau ein.
Cord Woywodt: ,,Plattenbauten sind derzeit richtig in, besonders in Souvenirgeschäften gehen die Bastelbogen weg wie warme Semmeln.” Sein erklärter Lieblingstyp: der WBS 70. Das Kürzel steht für ,,Wohnungsbauserie 70” und ist mit 900 000 ,,Wohneinheiten” der meistgebaute Neubautyp im Osten.
Doch nicht alle finden diese Verklärung der „Arbeiterschließfächer” gut. Von der „Hassliebe” vieler DDR-Bürger zu ihrer Platte schreibt zum Beispiel die „Welt am Sonntag”. Am Rande von Görlitz etwa entstanden zu DDR-Zeiten fast genauso viele Neubauwohnungen wie gleichzeitig in der historischen Altstadt verfielen. Heute stehen Plattenblocks oft leer. Auch Faltplatten-Schöpfer Woywodt räumt ein: „Berlin Marzahn ist im Sommer eine wahre Parklandschaft. Im Winter ist die Gegend allerdings sehr karg.“ Kein Wunder, dass der Meister selbst lieber in einem renovierten Altbau lebt, allerdings „mit Blick auf einen Plattenbau mit Giebeldach”. wie er ausdrücklich betont.
Am jüngsten Papier-Projekt von Cord Woywodt dürften sich endgültig die Geister scheiden. Mit wenigen Handgriffen ersteht aus fünf Bauteilen der Palast der Republik neu. DDR-Spitzname wegen der vielen Leuchter: „Erichs Lampenladen”. Selbst ans verflossene Staats-Emblem aus Hammer und Zirkel wurde gedacht. Spöttisch merkt ein Zeitungskommentator an: „Der Beipackzettel liest sich, als würde immer noch Erich Honecker mit seiner Margot zum Jahrestag der Republik das Tanzbein schwingen.”
Dirk Hentschel